Die Nachricht über mögliche Bilanzfälschungen bei Voestalpine war ein Wumms. Nicht nur das Timing, sondern auch die Art und Weise der Veröffentlichung sorgten für massives Stirnrunzeln bei Aktionären. Doch damit nicht genug: Die Malaise köchelt zur Unzeit weiter. Die Hauptversammlung steht am 3. Juli vor der Tür und Entlastung, sowie Aufsichtsratswahlen stehen an. Eine diskussionsintensive Versammlung droht. Offene Fragen gibt es:
Wie hoch ist der Schaden? Mittlerweile ist klar, dass es um eine mögliche Malversation von rund 100 Mio. Eigenkapitalschaden geht. Die Korrekturen der Bilanz belaufen sich jedoch auf zwei Berichtsjahre, in Summe 146,1 Mio., hiervon wird einiges gegenverrechnet. Die genaue Summe ist noch nicht transparent erkennbar. Dass kein mittelbarer wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, fällt schwer zu glauben. Wenn es um die Karriere geht, geht es auch um Boni, höhere Gehälter und Einfluss. Die Zahlungen waren dann ungerechtfertigt.
Hätte die Voestalpine eine Ad-hoc-Meldung veröffentlichen müssen? Fakt ist, dass Voestalpine die Bilanzkorrektur im Geschäftsbericht veröffentlicht und auch in der Unternehmenspräsentation gegenüber institutionellen Investoren erwähnt hat. Bei Letzteren interessierte sich kaum jemand dafür. Was wohl Anlass genug schien, anzunehmen, dass sich die weitere Öffentlichkeit nicht dafür interessiert und man eine Ad-hoc-Meldung daher unterlässt? Eine Fehleinschätzung des Managements, die bei proaktiver Transparenzethik undenkbar wäre. Ein Kommunikations-GAU. Geht es um eine mögliche Rechtsverletzung, dann muss die Wesentlichkeit der Information für den Emittenten berücksichtigt werden. Zwar mögen quantitativ 100 Mio. nicht wesentlich für die Voestalpine sein, qualitativ kann man allerdings darüber streiten, ob eine mögliche Bilanzfälschung gerade nicht eine Pflicht begründet. Die Finanzmarktaufsicht prüft jedenfalls.
Hätte man es früher erkennen können? Diese Frage richtet sich insbesondere an den verantwortlichen Abschlussprüfer vor Ort. Was ist dort geschehen, dass hier zehn Jahre lang nichts auftauchte. Weiter müssen sich die interne Revision und andere Kontrollsysteme unangenehmen Fragen stellen.
Wie läuft die Aufarbeitung? Jahrzehntelange Malversationen sind eine Mammutaufgabe in der Forensik. Tausende Buchungen müssen überprüft, Mails gecheckt und Gespräche geführt werden. Der Status ist einstweilen intransparent. Die Voestalpine hat den Abschlussbericht der ausführenden Anwaltskanzlei (clevererweise (?) nach der Hauptversammlung) im September angekündigt. Von Strafanzeigen hat man jedenfalls bisher nichts vernommen. Pikant: Wenn nun der betroffene Manager in die Gegenoffensive geht und anwaltlich-prominent Gegendarstellungen verlangt, kann man einer Schlammschlacht entgegensehen. Das kann unangenehm werden.
Zwischenfazit: Während Einige bereits die Linzer Chefetage verantwortlich sehen wollen, ist der Mehrheit vorerst eine lückenlose, transparente Aufarbeitung wichtig. Die Verantwortung des Managements für das geliehene Aktionärsvermögen verlangt ebenso die unnachgiebige Wiedererlangung strafrechtlich relevant erlangten Geldes. Kein Aktionär will „bestohlen“ werden (es gilt die Unschuldsvermutung). Bei der Suche nach Verantwortlichkeit ist immer ein Auswahlverschulden zu berücksichtigen, doch gegen kriminelle Energie ist selten ein Kraut gewachsen.
Im Börsen-Kurier Nr. 26-27 am 27. Juni 2024 veröffentlicht von:
Florian Beckermann
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