Übernahmegesetz-Reform: Pläne laden zum Missbrauch ein

Das Übernahmegesetz steht zur Reform an. Ausgangspunkt ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einer Sache bei der Conwert SE. Das Justizministerium muss den Instanzenzug für Rechtsmittel gegen Bescheide der Übernahmekommission adaptieren. So weit, so gut. Der aktuelle Reformvorschlag des Übernahmegesetzes wartet jedoch mit weiteren Änderungen auf, die für private Anleger nachteilig sind. Die Hintergründe sind wenig nachvollziehbar. Die Kritik zielt auf drei Punkte, die den Hinzukauf von Aktienpaketen der beherrschenden Großaktionäre und das daran anschließende zwingende Übernahmeangebot, das sogenannte „Creeping-In“, ändern sollen.

Erstens: Anhebung der Hinzukaufs-Erlaubnis für Großaktionäre von 2 auf 3 %. Kritik: Der heimliche Hinzuerwerb von Aktien ohne Auslösung eines Angebots ist insbesondere in der jüngeren Vergangenheit ein Ärgernis gewesen. Durch verschleierte Käufe wird Ungleichbehandlung praktiziert. Die Hürde ist weniger wirksam. Mit der Anhebung der Erlaubnis wird daher nicht sachgerecht gegen diese Tendenz gewirkt, vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Man mag in der Erhöhung eine Liberalisierung erkennen, doch ist fraglich, wem diese Erleichterung zugutekommt. Zumal die Durchsetzungsschwierigkeiten bei 3 % ident bleiben.

Zweitens: Anpassung des Berechnungszeitraums für den relevanten Hinzukauf auf das Kalenderjahr (zuvor 365 Tage). Kritik: Man ändert den gewohnten Standard. Es gibt kaum Markterfahrung und zusätzlich entstehen weitere Preisanomalien im Jahresende. Man fragt sich, ob das lohnt.

Drittens: Zukaufs-Saldierung. Der Gesetzentwurf stellt nicht mehr nur auf den einfachen Hinzukauf ab, sondern erlaubt eine Verrechnung, sollte unterjährig verkauft werden. Die Modifizierung scheint reichlich Interpretations- und Gestaltungsspielraum zu eröffnen. Es ist ein unbeschränkter Erwerb unter der Prämisse einer späteren Saldierung denkbar. Dieser Saldierungseffekt stellt eine gefährliche Neuerung dar, erlaubt er doch die legale Umgehung von Angebot-auslösenden Schwellen auf gewisse Zeit in massivem Umfang! Gerade im Zusammenhang mit der Nutzung von Stimmrechten auf der Hauptversammlung wird mit dem Saldierungseffekt einer Vielzahl von Missbrauchsmöglichkeiten Raum gegeben. Ein Schutzzweck des Übernahmerechts wird damit ohne Not ausgehöhlt.

Der IVA sprach sich im Begutachtungsverfahren klar gegen diese Varianten zu Lasten der Anleger aus. Vielmehr sollte die Reform die Kompetenzen der Übernahmekommission stärken und einen effektiven Missbrauchsschutz erleichtern – dazu gehören auch einfache (scharfe) Regeln, die der Markt anwenden kann, ohne ein Rechtsgutachten oder komplizierte Verrechnungen anstrengen zu müssen.

Veröffentlicht im Börsen Kurier am 11. Mai 2022 von:

Florian Beckermann

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