Der gefährliche Wunsch nach Mehrstimmrechtsaktien an der Börse

Mit der Ratspräsidentschaft Schwedens bekommt der EU-Listing-Act-Review neuen Schwung. Ziel der hären EU-Überlegungen ist es, den Europäischen Kapitalmarkt zu stärken. Ein Streitpunkt: Die Einführung von sogenannten “Mehrstimmrechtsaktien”. Man orientiert sich an Dänemark oder Schweden, wo diese Aktiengattung seit Jahren existiert. Die dahinterliegende Argumentation: Diese Länder verfügen über eine starke Kapitalmarktkultur, insbesondere im Start-up-Bereich. Stärkt man diesen Sektor, gewinnt auch der Kapitalmarkt oder die Börse – ein vermeintlicher Wettbewerbsvorteil mit dieser Aktiengattung, sofern gestattet. Auf diesen Vorteil schielend, basteln Belgien, Großbritannien und Portugal bereits an der Einführung. In Deutschland liegt ein Referentenentwurf vor. Die Venture-Capital-Szene wedelt mit dem Schwanz. Manch einer sieht die Mittelstandsfinanzierung bereits gesichert.

Grund genug, es auch für alle anderen EU-Länder zu propagieren. Mehrstimmrechtsaktien verkörpern mehrere Stimmrechte je Aktie, ähnlich den sogenannten “Golden Shares”. Ihr größeres Stimmgewicht auf der Hauptversammlung verleiht dem Inhaber mehr Macht, obwohl weniger Kapital bereitgestellt wird oder der Aktionär mehr wirtschaftliches Risiko trägt. Beispielsweise ist zusätzlich denkbar, dass diese Aktien ihre Funktion nach einem vorabdefinierten Zeitraum verlieren können (“Sunset Clause”). Sie sind damit zu unterscheiden vom bekannten Vorzugsaktien-Modell, was natürlich weiterhin existiert. Die Ausgestaltung der Mehrstimmrechte kann jedoch sehr verschieden sein.

Dass diese Gattung nicht ungefährlich sein könnte, dämmert auch dem EU-Rechtssetzer. In vielen Ländern, zB in Deutschland, wurde sie explizit in den 1990er Jahren verboten. Der Rechtssetzer sieht daher vor, dass diese Gattungen nur am sogenannten “Europäischen Wachstumsmarkt” notieren dürfen. Ein eingeschränktes Marktsegment.

Der IVA hat sich in den Beratungen zu der grundsätzlich positiven Initiative des EU-Listing-Acts klar gegen Mehrstimmrechtsaktien ausgesprochen: Ihre Einführung ist der nachhaltige Verstoß gegen das international vorherrschende Prinzip des “One-Share-One-Vote”, der linearen Verteilung von Aktienstimme und Kapital. Darüber hinaus existiert in Österreich kein “Europäischer Wachstumsmarkt”. Der gesamte Kapitalmarkt ist zu klein. Mehrstimmrechtsaktien schwächen Minderheitenaktionäre zusätzlich: Das System von Checks & Balances im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Aktionären und der Verwaltung des Unternehmens wäre signifikant gestört. Die weitergehende Abschaffung von ähnlichen Instrumenten hat den heimischen Markt in der Vergangenheit transparenter gemacht und gestärkt. Eine Vorteilhaftigkeit für den Aktionär ist daher kaum ersichtlich.

Im Börsen-Kurier Nr. 17 am 27. April veröffentlicht von:

Florian Beckermann

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