Wenn Digitalisierungs-Staatssekretär Florian Tursky für die Bundesregierung ausreitet, wirkt der Tiroler oft wie ein tapferer Ritter, der gegen unbekannte, übermächtige Gegner antritt. Sein Gefolge ist eine Community, die das teilweise technisch-abgehängte Österreich leid ist. Seine Aufgabe: Zeitgemäße IT-Infrastruktur in jedem Winkel der Republik nutzbar zu machen. Diese liegt in anderen Staaten auf Ministerebene. Es ist viel zu tun. Die Mittel sind dünn. Der Gegner: Der Digitalisierungsfeind.
Vor wenigen Tagen zog der Staatssekretär nun für den Gesetzesentwurf des Virtuellen Gesellschafterversammlungen-Gesetzes zu Felde, kurz die Virtualisierung der Hauptversammlung. Ein massives Ärgernis für viele Aktionäre, eine Gefahr für Eigentumsrechte. Wie viele Politiker, ward er auf einer Hauptversammlung bisher noch nicht gesehen. Ein Gesetz, welches ausschließlich in Justiz- und Expertenkreisen diskutiert wurde, warf er dennoch auf das populistisch-geprägte Schlachtfeld der Digitalisierung – sowohl Tursky als auch die HV-Materie wirken dort fachfremd.
In der Tat hat die Virtualisierung der Hauptversammlung in der vorliegenden Form wenig mit dem Wesen der Digitalisierung zu tun. Es geht um Machtinteressen und die Möglichkeit zur Aushebelung von Minderheitenrechten durch das virtuelle Format. Es geht auch um lokale Austro-Befindlichkeiten und Juristisches. Der “Digitalisierungsgewinn” – wenn es ihn denn gäbe – ist bei börsengelisteten Aktiengesellschaften mini. Das erkennt sogar das Erläuterungsmaterial des Gesetzentwurfs. Es offenbart sich ein Scheinargument “Digitalisierung”.
Die Präsenz-Komponente ist zwingendes Element der Kontroll- und Eigentumsrechte. Sie kann nicht virtuell adäquat ersetzt werden. Der internationale Kapitalmarkt und Stimmrechtsberater haben längst erkannt, dass das Präsenz- oder hybride Format die Zukunft ist. Dorthin geht die Reise. Warum also ein lokales, digitales Schmuddeleck schaffen? Das Schweigen der Justizministerin in der Diskussion lässt vermuten, dass sie mit dem fachfremden Digitalisierungspopulismus nichts anfangen kann und sich von Scheinargumenten nicht verführen lässt. Eine Beruhigung der Diskussion ist dadurch jedoch noch nicht zu verorten. Die juristischen Kernfragen sind zu wichtig.
Übrigens: Kein Start-up wird in Österreich aufgrund des Formats der Hauptversammlung scheitern – das hat andere Gründe.
Im Börsen-Kurier Nr. 21 am 25. April veröffentlicht von:
Florian Beckermann
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