Virtuelle Hauptversammlung: Deutsche Götterdämmerung

Das Format der rein virtuellen Hauptversammlung und deren Befürworter geraten ins Schwitzen. Nachdem in der österreichischen Hauptversammlungskultur das Format nahezu völlig abgelehnt wurde, zieht jetzt auch langsam der deutsche Markt nach. Das ist eine weitgehend gute Nachricht für Investoren und Kleinanleger, die zumindest einmal im Jahr die Verantwortlichen für ihre Investments einmal physisch zu Gesicht bekommen wollen. Elfenbeinturm-Gehabe des Managements kennt man zwar auch in Österreich, doch deutsche Ausmaße hat es nie erreicht. Ein positives Signal für unseren Markt bestätigt eine Vielzahl der Marktkenner.

Was ändert sich nun? Zweifellos haben viele Berater (oder besser „Beschützer“) dem rein virtuellen Format die Phalanx gemacht: Risikoärmer, da vorhersehbarer, mehr Beratungsaufwand, Aktionärsfragen vielleicht weniger spitz – eine vermeintliche Win-Win-Situation für Management und Beratung. Plus: Aufgrund der schieren Größe der Dax-Unternehmen und mehreren Tausend Aktionären ergab es auch im Einzelfall wirtschaftlich Sinn – fast ausschließlich in Deutschland. Den Nachteil des vermeintlichen Aktionärsunmutes nahm man billigend in Kauf, obwohl eine Vielzahl weiterer triftiger Argumente dagegensprechen.

Doch sukzessive hat das Umdenken mit dem völligen Ende der Pandemie nun auch Vorstandsetagen erreicht, die nicht als besonders verbunden zu ihren Aktionären gelten. Mit gewichtigen Konsequenzen: Gerade dort, wo man aufgrund von Pandemiewirkung und einer virtuellen Hauptversammlung noch über Schwierigkeiten hinweggeschaut hat, herrscht jetzt intensive Aktionärsfürsorge. Großinvestoren wie Deka oder Union Investment eskalieren jedes Jahr ihre Forderung, endlich wieder ins Präsenzformat zurückzukehren, um gerade die wichtige Auseinandersetzung wieder zu führen. Die deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hat unlängst dem Vorstand der Investorenbegehr-resistenten Siemens Energy mit Nichtentlastung gedroht, sollte wieder eine virtuelle Versammlung durchgeführt werden bzw. man sich wieder vor den Aktionären verstecken wolle.

Die Wahl des Versammlungsformats ethisch zu goutieren und mittelfristig einen Governance-Fehltritt daraus abzuleiten ist das Ergebnis falscher Rechtssetzung des deutschen Gesetzgebers und der vermeintlichen Schutz-Lobbyisten. Wohl dem Unternehmen, welches sich auf die eigenen ethischen Standards verlassen und weiterhin auf das Präsenzformat gesetzt hat.

Der IVA hat in unzähligen Äußerungen auf eine Best-Practice hingewiesen, die sich aus dem Markt entwickeln muss und nicht vom Amateur-Gesetzgeber erlassen wird. Dabei wurde stets auf das Präsenzformat mit sukzessiv-moderner werdenden Elementen verwiesen. Letztlich muss der Aktionär die Wahl haben, wie er teilnehmen möchte. Das fördert die Aktienkultur.

Im Börsen-Kurier Nr. 7 am 12. Februar 2025 veröffentlicht von:

Florian Beckermann

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