Wer dieser Tage die Echokammern der österreichischen Wirtschaft belauscht, wird Zeuge einer handfesten Wirtschaftsstandort-Kampagne. Angefangen bei Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung über Thinktanks bis hin zu politischen Parteien sind sich alle einig: Der Standort ist höchst reformbedürftig. Zeitweise gewinnt man das Gefühl, eigentlich gegen die wirtschaftlichen Vorteile eines Standorts in der Wüste Gobi keinerlei Chancen zu haben! Insbesondere die steuerlichen Voraussetzungen, Lohnstückkosten und Bürokratie gelten als schlagende Argumente. Unbestritten handelt es sich um dauerhaft reformbedürftige Themen.
Eine Standortdebatte birgt aber grundsätzliche Nachteile: Neben eigener Rufschädigung tritt eine verstärkte Polarisierung ein. Die Fachebene der Diskussion wird durch umfassenden kurzdenkenden Populismus gestört, Wettbewerbsverzerrung wird in Kauf genommen.
Eine selbsterfüllende Prophezeiung tritt ein: Negative Stimmung, ja Motivationslosigkeit. Soweit die Theorie.
In der Praxis ist es kaum von der Hand zu weisen, dass sich keine zentralsasiatischen Unternehmer in Österreichs Industriezonen verirren – auch aus anderen Destinationen blieb der „Ansturm“ aus. Dennoch haben andere europäische Länder mit ähnlichen Voraussetzungen Betriebsansiedlungen sehr erfolgreich erreicht. In Sonderwirtschaftszonen gelangt man beispielsweise in Polen nicht nur auf die Bürokratie-Überholspur, sondern erhielt auch noch langfristige Steuerzuckerl. Vorteile, deren Ernte das Land heute einfährt.
Die Standortqualitäten der Zukunft mögen von solchen Ideen ebenfalls profitieren, ein „Gamechanger“ in Sachen Wettbewerbsvorteil sind sie weniger. Es ist keine Neuigkeit, dass sich die nächste industrielle Revolution durch Automatisierung und künstliche Intelligenz tiefgreifend gegen die Arbeitskraft vieler Menschen stellt. Ein Standort muss daher sein Humankapital für eine resiliente Wirtschaft entwickeln.
Grundsätzlich hat Österreich dazu beste Voraussetzungen, in der Finanzwirtschaft, der hochspezialisierten Industrie, im Tourismus oder der Gesundheitsbranche ist der Faktor Mensch unverzichtbar. Eine hohe Energiequote aus nachhaltigen Quellen kommt vorteilhaft dazu.
Umgekehrt ist das Österreich von heute leider kaum mehr ein Platz für Menschen mit Kapital, sei es finanziell oder im Knowhow. Es droht immer wieder ein leistungsfeindliches Umfeld zu entstehen – wer riskiert hier noch? Zusätzlich hab man sich allzu lange Zeit mit Mittelklasse-Standortkriterien zufrieden – wen bekommt man dann? Wer also eine zukunftsorientierte Standortdebatte führen möchte, muss hier ansetzen.
Aus Sicht des IVA kommt dabei dem international anerkannten Faktum, ein nachhaltig „sicherer Hafen“ für Kapitalanlage zu sein, überragende Bedeutung zu. Dies schließt einen hohen Qualitätsanspruch an heimische Anlageformen ein. Wenn mit einem nachhaltig fiskalischen Pragmatismus und Rechtssicherheit langfristige Planbarkeit entsteht, gewinnt der Standort über die Belange der parteipolitisch gefärbten betriebswirtschaftlichen Deckungsbeitragsdebatte hinaus.
Im Börsen-Kurier Nr. 4 am 23. Jänner 2025 veröffentlicht von:
Florian Beckermann
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