Alljährlich im Spätsommer ruft das Europäische Forum Alpbach unter der Führung von Ex-Erste-CEO Andreas Treichl ins Tiroler Bergidyll. Seit dem zweiten Weltkrieg beitet das schönste Blumendorf Europas eine Plattform, welche die Ideen für die Zukunft des demokratischen Europas prägt – mit traditionell illustren Gästen, wie dem Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stieglitz oder Bundespräsident Alexander van der Bellen. Ein Fixstern unter den visionären Zusammenkünften von Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft, Kultur und Wissenschaft in Österreich.
Unter dem Motto “Bold Europe” (bold, englisch kühn) wird schnell klar, dass sich die Denkrichtung wenig passiv anlässt. Wobei der Titel, in Zusammenspiel mit der nachvollziehbaren Unterstützung ukrainischer Interessen, eine gewisse eigene Interpretationsebene erlangt. Jedenfalls ist ein Spannungsfeld eröffnet, welches den Überforderungszustand vieler eher verstärken denn besänftigen wird. Man denke nur an die gestresste Ökologisierung, die Energiediskussion, Inflation, Renten, Migration, Pandemie usw. Die politischen Lösungsversprechungen populistischer Apokalyptiker sind dabei weniger Thema, als ihr möglicher Erfolg in den kommenden Wahlen in Österreich, Europa und den USA. Es herrscht weitgehend Einigkeit, dass die anspruchsvollen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen der kommenden Jahre nicht durch Nationalismus und Protektionismus zu meistern sind. Insbesondere da Klimaziele global umgesetzt werden müssen.
Die Zahl der einfachen Antworten nimmt eher ab. Es scheint ein “Uphill-Battle” über Generationen zu drohen, deren Steigung zunimmt. Hier ist ein “Bold Europe” erforderlich. Insofern trifft Alpbach den Kern.
Was sagt eine nächste Generation? Entgegen einer Überdosis an Expertenweisheit dynamisieren im Forum Alpbach junge Stipendiaten die Diskussion. Aus dem Ausschnitt des Betrachters: Angesichts der ökologischen Globalsituation konnte man eine Verzweiflung, ja Radikalisierung wahrnehmen. Dies bezieht sich nicht nur auf die nationale grüne Politik oder Sympathien für eine “Letzte Generation”, sondern auch auf die Fähigkeit der “Gegenseite”, zuzuhören. Dass in diesem Umfeld die umsichtige Diplomatie einen schweren Stand hat, könnte RBI-CEO Johann Strobl unterstreichen: Gruppenwirksames RBI-Russland-Bashing lässt keinen Platz für Antworten eines für Milliarden Euro verantwortlichen Vorstands – sofern man sie denn hören will.
Letztlich bleibt Alpbach mit einem Besucherplus von knapp 11 % eine Rekordveranstaltung, deren wichtige Kontroversen überwiegend mit weiblichen Besuchern und von 98 verschiedenen Nationalitäten getragen worden sind. Wie “bold” ein jeder Besucher Alpbach verlässt, lässt sich nicht sagen, doch allein ist er nicht.
Im Börsen-Kurier Nr. 36 am 06. September veröffentlicht von:
Florian Beckermann
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