Das Abrutschen der Kurse an der Wiener Börse hat viele Anleger in Österreich verunsichert und verärgert. Insbesondere Bank-Aktien standen im Fokus des Preisverfalls. Die Unbeständigkeit der globalen Märkte, die Komplexität der einzelnen Unternehmen und Mehrdeutigkeit einer politischen (Kriegs-)Situation sind irgendwie fassbar. Politische Stress-Statements, Panikberichte oder die vorsätzliche Abstrafung der Ost-Bindung der österreichischen Wirtschaft sind ärgerlich. Grundsätzlich solide Wertpapiere sehen einen Ausverkauf. Der Versuch einer rationalen Hilfestellung in der Krise.
Jeder politisch getriebene Preisverfall hat zunächst einen klassischen Trading-Grund: Risk-off-Strategie. Professionelle Trader verkaufen Risiko-Assets. Was als Risiko-Asset zu definieren ist, hängt von der Strategie ab und ist individuell. Da Handel sich gemeinhin an Kursen orientiert und weniger am Unternehmen als solchem, findet kaum eine individuelle Betrachtung statt. Dem Verkäufer ist es demnach gleich, ob eine Bank beispielsweise einen geopolitischen Schock wegstecken kann, weil sie über genug Kapital verfügt. Dies ist der Pferdefuß einer „politischen“ Börse und ebenso ärgerlich.
Das beim Verkauf freigewordene Kapital muss wieder veranlagt werden, denn regelmäßig halten institutionelle Investoren nur geringe Liquidität. Die aktuelle Inflation bestätigt sie. Das Kapital sucht daher eine sichere Anlage. So wird das Kapital zu den defensiven Werten umgeschichtet.
Aber auch defensive Werte leiden zunächst. Traderportfolio-Verluste müssen ausgeglichen werden und Tafelsilber wird verkauft, daher fallen auch die Kurse – jedoch verhältnismäßig schwach. Offen ist, ob eine geopolitische Zeitenwende mehr als nur eine Adjustierung der professionellen Portfoliostrategie fordert. Erst nach Vollzug einer solchen großen Umschichtung, könnte ein klarer Blick auf die Kurse gerichtet werden. Die Erkenntnis ist dann zuweilen weniger dramatisch. Aber zeitlich es ist kaum abschätzbar.
All diese Betrachtungen sind losgelöst von den individuellen Fähigkeiten vieler heimischer Unternehmen. Oft ist eine Ausrichtung zwar östlich, aber ohne Tätigkeiten in Russland oder in der Ukraine. Manchmal gibt es gar keinen Ost-Bezug oder eine Gefahr.
Die Herausforderungen der Nachhaltigkeit sind für viele Unternehmen viel gegenwärtiger, als der Verlust eines möglicherweise marginalen Ost-Geschäfts. Österreichs Wirtschaft ist eingebunden in den EU-Wirtschaftsraum wie kaum ein anderes Land. In diesem (harten) Wettbewerb kann sich die heimische Wirtschaft behaupten.
Der vielfach als übertrieben bezeichnete Ausverkauf stößt daher auch auf Unverständnis.
Veröffentlicht im Börsen Kurier am 10. März 2022 von:
Florian Beckermann
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